Rezension:
In den USA kennt diese Geschichte fast jedes Kind: Ein
kleines Mädchen gerät zusammen mit ihrem Hund Toto in
ein zauberhaftes, farbenprächtiges Land namens Oz und der einzige,
der ihr helfen kann nach Hause zu gelangen, ist ein mächtiger
Zauberer in der geheimnisvollen Smaragdstadt. Auf ihrem Weg dorthin,
der durch einen gelben Ziegelsteinweg vorgegeben ist, trifft sie
neue Freunde: Die Vogelscheuche ohne Verstand, den Blechmann ohne
Herz und den Löwen ohne Mut. Zusammen meistern sie allerlei
Hindernisse und Gefahren, doch statt in der Smaragdstadt am Ziel
ihrer Wünsche und dem Ende ihrer Reise angekommen zu sein,
schickt sie der Zauberer in den aussichtslosen Kampf gegen eine
böse Hexe.
Eine Vielzahl von Fortsetzungen und Verfilmungen - allen voran
der MGM-Musical-Klassiker „Der Zauberer von Oz“ von
1939 mit Judy Garland - prägten das kollektive Bewusstsein
und wurden so zum Teil der amerikanischen Kultur.
In deutscher Sprache erschien das Buch, das in den USA bereits
1900 erschienen war, erstmals im Jahr 1940 im Schweizer Morgarten-Verlag,
bevor es 1964 erstmalig in der BRD und sogar erst 1988 in der DDR
erschien. Die Geschichte ist dennoch im Osten Deutschlands wesentlich
populärer als im übrigen Teil des Landes. Die Adaption
des Buches durch den Russen Alexander Wolkow, die bereits 1964 unter
dem Titel „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ in beiden
Teilen Deutschlands erschien, avancierte in der DDR zum Bestseller.
Unzählige Kinderherzen erlebten mit Dorothy, die hier Elli
heißt, dem Scheuch, dem Eisernen Holzfäller und dem Feigen
Löwen wie die böse Hexe letztendlich besiegt und der Zauberer
als Schwindler enttarnt wurden.
Die Ehapa Comic Collection legt nun eine fantastische Comicadaption
dieser Geschichte vor. Die von Enrique Fernandez gezeichnete und
von David Chauvel getextete Fassung erschien ursprünglich 2005-2006
in Frankreich als 3-bändige Albenserie.
In den Presseinformationen von Ehapa heißt es: David
Chauvel überzeugt mit seinem erzählerischen Talent, während
Enrique Fernández Schauplatz wie Charaktere durch seinen
ausdrucksstarken Zeichenstil und seine wunderschönen Farben
auf bezaubernde Art und Weise dargestellt. – Das kann
man als Ausgangspunkt durchaus so stehen lassen. David Chauvel gelingt
es tatsächlich, die mehr als 100 Jahre alte Geschichte des
Amerikaners Lyman Frank Baum mühelos in das Medium Comic zu
transferieren, nahezu kein Handlungsteil wurde weggelassen oder
zu Gunsten einer anderen Betonung vernachlässigt. Und wo der
Text zu knapp wird oder sich ganz ausspart, etwa bei Landschafts-
oder Gebäudebeschreibungen oder der Frage, was der in der Geschichte
ja nur am Rande vorkommende Toto eigentlich gerade macht, da übernehmen
die Bilder die Aussage. Enrique Fernandez gelingt es auf fantastische
Art sich von anderen Oz-Illustratoren wie W. W. Denslow, John R.
Neill, Lisbeth Zwerger oder Leonid Wladimirski abzusetzen, ohne
den Oz-kundigen vollständig mit seinen Erwartungen alleine
zu lassen. Seine Dorothy ist kindlicher als jede andere zuvor und
trifft doch scheinbar gerade dessen viel mehr Baums Intentionen.
Sie wirkt menschlicher und zerbrechlicher als bei den genannten
Illustratoren. Insbesondere der Wutausbruch der kleinen Dorothy,
die von der Hexe gefangen gehalten und gequält wird, ist sehr
eindrucksvoll dargestellt worden.
Die Figuren sehen manchmal traurig drein und manchmal hoffnungsvoll
oder gar mutig und entschlossen, aber inmitten all dieser Ausdrucksformen
sind da immer die strahlenden Augen von Fernandez’ Dorothy.
So wie den Figuren durch deren Gestaltung Leben eingehaucht wird,
erzeugt der Zeichner Stimmungen durch die konsequente Farbgestaltung
beispielsweise bei den Handlungsteilen die in der grünen Smaragdstadt
spielen. Diese Szenen sind fast vollständig in Grüntonen
gehalten. Ähnliches gilt später für die Szenen im
roten Land der guten Hexe des Südens. Diese Seiten visualisieren
sehr anschaulich und eindrucksvoll Baums Vorstellung des Landes
Oz. Bei etwas genauerer Beschäftigung mit der Art und Weise,
wie die farbigen Länder bei Baum zueinander angeordnet sind,
erkennt man, dass ein System dahinter steckt, dass den Prinzipien
der Farbenlehre mit Primär- und Sekundärfarben folgt.
Ein weiteres eindrucksvolles Stilmittel ist die etwas andere Gestaltung
der Rückblendenszenen. So sind die Erzählungen der Vogelscheuche
und des Blechmannes über ihre Entstehung in Sepiafarbtönen
gehalten und mit einem farbigen Rahmen als Hintergrund versehen.
Die Erzählungen des Zauberers nach dessen Enttarnung haben
die beiden Künstler liebevoll in ein Puppenstück verpackt,
dessen Darstellung noch mal darauf hinweist, dass der Zauberer auch
vorher nichts anderes getan hat als an den Fäden zu ziehen
und sich dezent im Hintergrund zu halten. Etwas bizarrer ist die
fast ins Groteske überzeichnete Bilderbuchversion der Geschichte
der Geflügelten Affen. Hier beweist sich auch das Fingerspitzengefühl,
das David Chauvel bei seiner Adaption der Geschichte hatte, um diese
für die Handlung eigentlich eher unwichtige Erzählung,
die von der Fabulierfreude Baums zeugt, in der Comicversion zu lassen.
Die Visualisierung dieser durch den jungen französischen Zeichner
Enrique Fernandez ist einer der Höhepunkte des Comics.
Die liebevolle Gestaltung der ganzen Geschichte macht diese inhaltsgetreue
Bilderversion zu einer Empfehlung für jeden Oz-Freund. Und
es fällt eigentlich erst hinterher auf, wie sehr sich der Szenarist
David Chauvel in den Dienst des Baumschen Textes stellt, man bemerkt
die für den Medienwechsel notwendigen Änderungen des Textes
fast gar nicht.
Eingeleitet
wird das Album, wie auch die französischen Originalausgaben,
durch eine amerikanische Karte des Landes Oz.
Für die deutsche Ausgabe wurden die 3 Originalalben zu einem
Band zusammengefasst und das ursprüngliche Format von 22,5
x 29,8 cm auf 17,5 x 24,5 cm verkleinert. Erstaunlicher- oder viel
mehr erfreulicherweise ist die Wirkung der Zeichnungen in beiden
Versionen sehr ähnlich. Die Verkleinerung ist also vor allem
in Bezug auf den Preis von 15 Euro für das 96seitige Album
auch für Comicfans akzeptabel.
Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Bernd
Leibowitz. Leider ist bei der deutschen Textfassung einiges zu beklagen.
So kann beispielsweise das vom Sturm mitgerissene Haus gar nicht
bis zur Spitze der Windhose hochgehoben werden, denn die Spitze
befindet sich unmittelbar über dem Erdboden (Seite 5). Und
das der Übersetzer die Namensgleichheit des Landes Oz mit dem
Zauberer der auch Oz heißt nicht hundertprozentig im Griff
hat, zeigt sich auf Seite 10, als Dorothy statt zu Oz nach Oz geschickt
wird, obwohl sie ja bereits im Land Oz ist. Solcherlei zieht sich
leider durch das ganze Buch und ist in seiner Vielzahl dann doch
ärgerlich.
Eines kann man der Übersetzung aber zu Gute halten, sie fördert
die Allgemeinbildung, denn wer bitte weiß im nord- und mitteldeutschen
Raum schon was ein Spengler ist? Dieser Ausdruck für jemanden,
der beruflich Dinge aus Metall, besonders Blech herstellt, repariert
und einbaut ist nur regional bekannt und lässt sich grob als
Klempner übersetzen. – Über 100 Jahre wurde der
Blechmann von einem Schmied zusammengesetzt, nun ist er halt beim
Klempner gelandet.
Den größten Fauxpas leistet sich die deutsche Ausgabe
allerdings auf dem Cover und dem Vorsatzblatt mit der Namensgebung
L. Franck Baum. Zumal auf der Impressum-Seite durchaus
bewiesen wird dass auch im Ehapa Verlag bekannt ist, dass man Frank
ohne c schreibt.
Einige Schreibfehler runden den Eindruck einer schludrigen Umsetzung
ab.
Ein weiterer Minuspunkt ist die Farbsättigung. Die Seiten
sind um einiges dunkler als im Original, dass mag noch im vertretbaren
Rahmen sein, stört aber schon, wenn man den Unterschied kennt.
Etwas unsicher war der Verlag wohl bei der Verwendung der Titelbilder,
die man wahrscheinlich auch aus Platzgründen dem deutschen
Leser nicht vorenthalten wollte, so wurden das Titelbild des zweiten
und dritten Bandes vor den jeweiligen Teil im Album eingefügt.
In Anbetracht dessen, dass dies für den ersten Teil nicht geschehen
ist, wirkt das Ganze etwas uneinheitlich. Zumal mit der Illustration
für den französischen Schuber durchaus geeignetes Material
vorgelegen hätte.
Für alle, die jetzt ratlos oder traurig dreinblicken, sei
noch mal explizit angemerkt, dass die Geschichte und die Zeichnungen
so hervorragend umgesetzt sind, dass man über diese Mängel
durchaus hinwegblicken kann, zumal der Preis von 15 Euro für
ein 96seitiges Album in Deutschland eher günstig zu nennen
ist.
Torsten Kühler, 23.08.2006
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